Auszüge aus dem
Buch "Pirmin eine Traumkarriere"
Autor: Franz Julen
Pirmins "Selbstgespräch"
Leukerbad, 21. Januar 1988, Hotel Regina-Terme, Zimmer 413, 18 Uhr: Infolge Schneefalls und Nebels kann an diesem Tag zu der von Wengen nach Leukerbad verlegten Lauberhorn-Abfahrt nicht trainiert werden. Pirmin erhält in seinem Zimmer, das er mit William Besse teilt, Besuch von Manager Marc Biver.
Bald einmal beginnt Pirmin, der ausserhalb der Skipiste stets ruhig und zurückhaltend auftritt, zu philosophieren: "Marc, Du glaubst es kaum", meint er in einem bereits recht forschen Ton, der immer heftiger wird, "aber ich beschäftige mich seit Wochen fast jeden Tag in Gedanken mit der Olympiaabfahrt von Calgary". Bei den nächsten Sätzen spürt man förmlich, wie er vor Tatendrang und Energie nur so strotzt und es kaum mehr erwarten kann, am Mount Allan im Starthaus zu stehen, um die vielen schwierigen Kurven und Sprünge in Angriff zu nehmen.
Pirmin: "Immer und immer wieder sehe ich mich schon am Start. Ein letzter Blick hinunter Richtung Ziel, noch einmal tief durchatmen und los geht's. In Gedanken fahre ich die technisch so heiklen Kurven im obersten Teil ab. Stets am äussersten Limit, versuche ich, die vielen Schläge möglichst gut zu drücken, um die Ideallinie kaum zu verlassen. Nach etwa der halben Fahrzeit beginnt der zweite, flachere Abschnitt mit den vielen Sprüngen. Ich muss ständig in der Hocke bleiben, attackieren, jede Sekunde arbeiten und die Ski laufen lassen. Selbst bei den Flügen darf ich so wenig wie möglich öffnen. Ich muss ganz einfach kämpfen; ich wünsche, morgen wäre bereits der 14. Februar 1988 . . .!"
Dann fügt Pirmin noch Worte hinzu, die man von ihm selbst im engsten Kreis noch nie gehört hat: "Diese Abfahrt ist das wichtigste Rennen meiner ganzen Karriere, und ich bin überzeugt, dass ich es gewinnen kann - ja gewinnen werde. Im oberen Teil ist die Strecke mit den vielen Kurvenkombinationen geradezu auf meine Fähigkeiten zugeschnitten. Die unten so entscheidende Komponente Material hat doch im März 1987 bei der Olympia-Hauptprobe optimal gestimmt (damals wurde er trotz eines groben Fehlers noch Elfter)."
Am Schluss seines "Selbstgesprächs" äussert Pirmin noch eine Befürchtung, die Wochen später in Calgary Athleten, Trainern sowie Funktionären manche schlaflose Nacht bereiten sollte und in den Medien zu einem Dauerthema wurde: "Ich hoffe nur, dass es für alle Fahrer ein faires Rennen mit gleichbleibenden äusseren Bedingungen geben wird. Besonders bei den Sprüngen können sich die Windstösse gravierend auswirken und zu grossen Zeitdifferenzen führen."
Aber nicht nur für Pirmin begann der Countdown zur Olympia--Abfahrt bereits Wochen zuvor. Wie immer plante Cheftrainer Karl Frehsner auch diesmal die Expedition Calgary schon sehr früh in allen Details. So entschied er, zusammen mit Pirmin, bereits im Dezember 1987 in Val Gardena, dass Pirmin auf die unmittelbar vor den Olympischen Spielen stattfindenden Schweizer Meisterschaften verzichten wird." Dies war", ist Pirmin nachträglich überzeugt," ein weiser und äusserst wichtiger Entscheid. Ende Januar verspürte ich nämlich eine gewisse geistige und körperliche Müdigkeit. Die wenigen Tage zu Hause im gewohnten heimischen Kreis gaben mir wieder die nötige Kraft." Pirmin hatte somit die Möglichkeit," seine Batterien aufzuladen" und reiste mit viel Selbstvertrauen und völlig ausgeruht am 5. Februar 1988 nach Calgary.
Wie
eine Art Doping wirkte sich für Pirmin dann auch das "Wiedersehen
" mit der Abfahrtsstrecke am Mount Allan aus. Den unteren, flachen Teil
konnten wir vom ersten Tag an befahren, während der obere nur vom Pistenrand
aus betrachtet werden durfte. Bereits vor der ersten Trainingsfahrt verspürte
ich eine vor einem Rennen noch nie dagewesene Aggressivität. Ich wusste
genau, dass ich auf dieser anforderungsreichen und unruhigen Strecke alles
riskieren konnte und war bereit, ans äusserste Limit zu gehen."
Dass ihn sein Gefühl einmal mehr nicht im Stich gelassen hatte, bewies
der 10. Februar 1988 mit aller Deutlichkeit. Pirmin erzielte in der ersten
Trainingsfahrt vor Daniel Mahrer und Markus Wasmeier klar die schnellste Zeit.
"In den schwierigen Kurven versuche ich, vor allem sauber auf den Ski
zu stehen, um die Ideallinie zu finden. Unten werde ich voraussichtlich bei
allen Trainingsläufen voll fahren, damit ich meinem Servicemann im Materialbereich
wichtige Erkenntnisse weitergeben kann, " kommentierte er im Ziel und
gab zu, dass ihm nichts Besseres hatte passieren können, als auf Anhieb
Trainingsbestzeit zu erzielen. "Das gibt physisch und psychisch enorm
Vertrauen und ist die beste Motivation."